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Mittwoch, März 26, 2008

Zusammenfassung von "Jo Reichertz: Zur Gültigkeit von Qualitativer Sozialforschung“ von Elisabeth Kunz

Zusammenfassung von Elisabeth Kunz:

"Der Soziologe und Kommunikationsforscher Jo Reichertz beschäftigt sich in der Schrift „ Zur Gültigkeit von Qualitativer Sozialforschung“ mit der Frage nach der Ermittlung der Argumente und Verfahren, die in Äußerungen von WissenschaftlerInnen benutzt werden, um die Gültigkeit ihrer Aussagen gegenüber der (Fach-)Öffentlichkeit aufzuweisen. Das Ziel ist es, daraus symbolisches genauso wie natürliches oder besser gesagt vor allem ökonomisches Kapital zu schlagen.

Reichertz erwähnt in seinem Text vier Methoden zur Begründung von Gültigkeit (Validität), nämlich die Absicherung mit Hilfe des Hinweises auf eine Autorität, mit Hilfe des Gebrauchs der Vernunft, mit Hilfe der Inanspruchnahme persönlicher Hellsichtigkeit und mittels eigener empirischer Forschung.
Diese vier Verfahren sind Ergebnis der (Re-)konstruktion von Idealtypen.
Die erste Methode hat eine sehr lange Tradition und kann ihre religiöse Abstammung nicht verleugnen.
Sehr lange wurde die Gültigkeit von Aussagen mit Hilfe von Büchern bekannter Autoritäten, wie Aristoteles und andere griechische Autoren, geprüft.
Diese Methode ist auch heute noch in vielen Ebenen wissenschaftlicher Auseinandersetzung zu finden.
Auch die zweite Methode ist religiösen Ursprungs. Hier geht es um eine bestimmte Art des Philosophierens, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie den Gebrauch der Vernunft oder des Verstandes impliziert.
Wichtig ist hierbei, dass die Vernunft als göttliche Gabe und Werkzeug gedeutet wird.
An die dritte Methode wird die Genialität der WissenschaftlerInnen gebunden.
Letztlich wieder eine „Gabe Gottes“ wird die Validität gekoppelt an die Kreativität und an die Fähigkeit Neues zu entdecken.
Mit dem Aufkommen des Empirismus, die vierte Methode, kommt als Argument zur Begründung von Gültigkeit die Beobachtung auf. Diese gilt seither als sicherste und beste Methode zur Erlangen von gültigen Aussagen.

Menschen orientieren sich meistens an gesellschaftlichen Ordnungen, die sich permanent im Wandel befinden und die zudem „subkulturell fragmentiert“ sind.
Somit können diese Ordnungen nur lokal gelten und ändern sich stetig.

Reichertz spricht in Folge von der Notwendigkeit von Ungenauigkeiten.
Mit „Ungenauigkeiten“ kommt man in der Regel schneller voran, als mit absoluter Gewissheit, da wenn diese eintritt, man nicht mehr bereit ist weiter zu gehen, sondern genau auf diesem Punkt verharren wird. Ungenauigkeit wird somit nicht als Not, sondern aus Tugend gesehen.
Menschen neigen, laut dem Autor, stark zu qualitativen Induktionen.

Ein/e WissenschaftlerIn muss an folgenden Überzeugungen festhalten:
Fiktive Deutungen sind sehr wichtig. Diese sind Imaginationen von Behauptungen, die wenn sie zuträfen, Sinn machen.
Wissenschaftliche Urteile können mit Hilfe von „wahr/falsch“ bewertet werden.
Alle Urteile und Deutungsroutinen müssen einem systematischen Zweifel unterzogen werden. Dies ist der Kern von Forschung.
Subjekte handeln nicht zwanghaft nur auf Grund von äußeren Einflüssen.
Für die Sozialforschung ist wichtig, die Bedeutung nachzuzeichnen, die das Handeln für den Handelnden hatte.
Die Arbeit des/der ForscherIn besteht darin, bei der Beobachtung und Darstellung die in seiner wissenschaftlichen Kultur vorhandenen Deutungen von Welt zu verflüssigen.
Die hermeneutische Deutung von Daten ist als Versuch zu werten, eine singuläre und vielleicht auch neue Erfahrung an den bereits bestehenden Kosmos weiter auszuweiten.

Auf unterschiedliche Weise gehen reflexive WissenssoziologInnen mit der Perspektivengebundenheit und dem Gültigkeitsanspruch, dem sie nicht abschwören wollen oder können, um.
Die Wissenssoziologie kann nicht mehr problemlos von der Gültigkeit ihrer Aussagen sprechen. Dies ist ein Problem, für dessen Lösung drei unterschiedliche Großstrategien entwickelt wurden.
Die erste Strategie, „ Begründung durch persönliches Charisma“ genannt, bezieht sich darauf, dass die entscheidende Erkenntnis als genialer Akt zu sehen ist, der von keiner/m anderen vollbracht werden konnte.
Also wird dem Charisma der Person die Gültigkeit zu geschrieben.
Die zweite Strategie, bezeichnet als „ Begründung durch Verstand“, versucht die Ergebnisse mit Hilfe von spezifischen Verfahren zu beweisen.
Nicht mehr die Genialität der WissenschaftlerInnen, sondern die wissenschaftlich etablierten Methoden sollen die Gültigkeit hervorbringen.
Innerhalb dieser Strategie finden sich drei Varianten: die Rechtfertigung mit Hilfe der Methode der phänomenologischen Reduktion, die Rechtfertigung mit Hilfe des Verfahrens der Methoden-Triangulation und die Rechtfertigung mit Hilfe der Methode „datengeschützte Perspektivenkonstruktionen“.
Ziel der ersten Variante, die vor allem von Vordenkern der Wissenssoziologie verwendet wurde, ist es, den „sozialen Schleier“ wegzuziehen und damit die Dinge selbst sichtbar zu machen. Soll heißen, dass man versuchen soll, bei der Welterkenntnis möglichst Abstand von sozialer Einkleidung und historischen Kontexten zu nehmen, bzw. diese zu reduzieren.
Die zweite Variante versucht die Erkenntnis von der wissenschaftlichen Perspektivität produktiv zu nutzen: die qualitativen Verfahren werden mit quantitativen ergänzt, die Feldstudien mit Interviews und Fragebögen, die Interaktionsanalyse mit Experiment und Beobachtung.
Die letzte und scheinbar auch „realistischste“ Variante, bezieht sich auf die Sequenzanalyse.

Die dritte Strategie „Begründung durch den wissenschaftlichen Diskurs“ besteht darin, die Vielfältigkeit von Berufsgruppen zu nutzen.
Somit wird der so genannte „innerwissenschaftliche Diskurs“ wichtig.
Weder die eigene Genialität, noch die Verfahren bringen die Erkenntnis, sondern die Gruppe wird wichtig. Somit wird die Perspektivenvielfalt einer Professionsgruppe verwendet, um auf die Erkenntnis zu kommen.

Reicherzt schildert die aktuelle, scheinbar eher schlechte Situation der Methoden- und Methodologiedebatte und nennt einige Gründe, die seiner Meinung nach dazu beitragen, dass die Debatte nicht mehr so honoriert wird.
Zum einen nennt er das Problem, dass wissenschaftliche Schriften seit den sechziger Jahren nicht mehr nur hauptsächlich für FachkollegInnen publiziert werden, sondern auch für Laien. Somit muss in Folge auf langatmige und schwierige Erklärungen verzichtet werden. Das Gros der Bevölkerung, bzw. der LeserInnen interessiert sich für das „Was“, also für das Resultat der wissenschaftlichen Forschung und viel weniger für das „Wie“.
Als weiteren Punkt nennt der Autor die Medien und deren zunehmende Wichtigkeit.
Denn auch hier gilt es schnelle, kurze, neue und interessante Deutungen der Welt zu zeigen und man verzichtet auf lange Ausschweifungen und Erklärungen.
Von Interesse scheinen nur exotische Themen, außergewöhnliche Erkenntnisse und ein ästhetisch ansprechender Stil zu sein.
Weiters beschäftigt sich Reichertz mit der Wissenschaftsfinanzierung, die laut ihm, seit zwei Jahrzehnten auf ca. dem gleichen Level stehen geblieben ist.
Dadurch wird ein größerer Konkurrenzdruck zwischen den WissenschaftlerInnen aufgebaut, und für den Autor stellt sich mehr oder minder Hand in Hand die Frage nach neuen Beurteilungskriterien der wissenschaftlichen Forschung.
Der Autor befürchtet bei dieser Entwicklung, dass die Theoriebildung als auch die Methodenentwicklung ins Hintertreffen gelangen könnten und nur mehr das Anwenden von Methoden praktiziert wird.
Den Abschluss bildet die Überlegung, wie qualitative vor allem aber wissenssoziologisch informierte Sozialforschung überleben kann.
Er kommt zu dem Schluss, dass dies nur mit Hilfe eines Ausbaus der bereits vorhanden Grundlagentheorien, Methodologie und Methoden möglich ist.
Auch die Frage nach Gütesicherung wird immer wichtiger werden, soll aber immer mit dem Hintergrund betrachtet werden, dass alle Arten von Gütekriterien das Ergebnis von gesellschaftlichen Konstruktionsprozessen sind."

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